Der „Digital Twin“ ist eines der Top-Schlagworte rund um die Digitalisierung in der IoT- und IIoT-Branche. Diese Technologie bietet umfangreiche Einsatzmöglichkeiten in der Industrie 4.0 und bringt die Digitalisierung darüber hinaus um einen großen Schritt voran. Zuletzt wurde es jedoch etwas still um den zeitweilig gehypten Ansatz. Haben Digitale Zwillinge in der Anwendung die Erwartungen enttäuscht? Und was kann ein Digital Twin wirklich leisten?
Ein Digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild eines real existierenden Prozesses, Dienstes oder auch Produkts aus dem Internet of Things (IoT) und ermöglicht realitätsnahe Simulationen. Er kann dazu dienen, Daten aus dem Einsatz der realen Zwillinge zu analysieren und auszuwerten. Im Bereich der produzierenden Unternehmen können Digital Twins Anlagen abbilden – und zwar über den gesamten Lebenszyklus hinweg. So werden mittels Simulationsmodellen Abläufe von Beginn an umfassend analysiert und optimiert. Darüber hinaus werden Fehlplanungen bei komplexen Projekten unwahrscheinlicher und Fehlentscheidungen können vermieden werden. Alles zusammen generiert einen klaren Mehrwert für Unternehmen.
Spannend ist der Einsatz auch im Bereich der Predictive Maintenance. Der Digital Twin fördert die vorausschauende Wartung wesentlich, da nicht nur Daten über den aktuellen Betriebszustand gesammelt werden, sondern auch Prognosen und Frühwarnoptionen möglich werden. Die Kosteneinsparungen gegenüber anderen zeitorientierten oder schadensabhängigen Instandhaltungsstrategien können erheblich sein.
Vorsicht ist jedoch geboten, wenn zu viel Zeit und Aufwand in den Digital-Twin-Ansatz gesteckt wird, sodass er nie richtig fertig und einsatzbereit wird. Dies führt nicht nur zu Frustrationen bei Entwicklern und Product Ownern, sondern gefährdet auch gesamte Projekte oder kann ihre Abwicklung zumindest verlangsamen.
Problematisch wird es auch, wenn die verschiedenen Unternehmensbereiche mit ihren spezifischen Anforderungen zu viele Fähigkeiten vom Digitalen Zwilling erwarten. So könnten etwa zu einem digitalen Projekt unterschiedliche Anwendungen auch in einzelnen Vorhaben oder Teilprojekten entwickelt werden. Das kann jedoch nicht nur zu Frustration führen, wenn dies je nach Aufgabe und Team in unterschiedlichem Tempo erfolgt – auch der Mehrwert eines Digital Twin geht damit verloren, denn dieser entsteht im Wesentlichen, wenn eben nicht jedes Projekt einzeln gestartet und durchgeführt wird. Der gemeinsamen Nutzung der Infrastruktur durch die unterschiedlichen Anwender mit ihren jeweiligen Anforderungen sollte also im Vorfeld ausreichend Beachtung geschenkt werden.
Auch als Middleware, wie ein Enterprise Service Bus oder ein Queueing-System, bietet sich der Digital Twin nicht an. Ein Device kann Daten in den Twin spiegeln, andersherum aber ist dies beschränkt. Der Digital Twin sollte daher laut Experten keine „Bringschuld“ für Daten in Drittsysteme eingehen, wie eine klassische Middleware. Stattdessen wird empfohlen, dass der Twin in einer Event-Queue das Vorhandensein neuer Daten festhält, sich aber weiter auf seine Kernkompetenz konzentriert.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass ein Digitaler Zwilling nur bis zu einem gewissen Maß Daten und Historie speichert. Ebenso wie ein Device aus Kapazitätsgründen nicht alle Daten speichert, können auch im Digital Twin nicht alle Daten abgelegt werden. So würde etwa ein komplettes Archiv aller Bewegungsdaten einen Twin überfrachten. Um komplette Historien zu speichern, empfiehlt es sich, diese in einen Data Lake zu hinterlegen. Generell sollte man sich also im Klaren darüber sein, dass bei dieser Technologie eine sehr große Menge an Daten anfällt und dementsprechende Datenbanktechnologien benötigt werden.
Ein weiterer Aspekt, den man im Hinterkopf behalten sollte, sind die Sicherheitsrisiken, die der digitale Zwilling mit sich bringen kann – selbst wenn Sicherheitsthemen in der IT immer eine Rolle spielen und aus Diskussionen um Cloud-Technologien nicht wegzudenken sind. Letzten Endes ist es immer ein Abwägen zwischen Sicherheit und Effizienz.
Wie aber lässt sich ein Digitaler Zwilling innerhalb der Unternehmens-I(o)T-Architektur sinnvoll verorten, um die Digitalisierungsstrategie zu unterstützen? Experten raten dazu, die Digital-Twin-Strategie in der Corporate Digital-Strategie anzusiedeln. Im Idealfall wird eine Digital-Twin-Infrastruktur aufgebaut, die von verschiedenen physikalischen Produkten zusammen benutzt werden kann. Der Digital Twin sollte nicht übereilt, sondern über einen gewissen Zeitraum hinweg entwickelt und zudem – wichtig! – die organisatorische Verantwortung in der Führungsebene angesiedelt werden, um die notwendige Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erfahren.
Empfehlenswert ist es außerdem, in einer klar definierten eigenen Roadmap den schrittweisen Ausbau von einem einfachen zu einem komplexeren Twin klar zu umreißen und zu kommunizieren. Darüber hinaus ist es ratsam, Digital-Twin-Anwendungen mit gemeinschaftlichen Teams aus Technologie- und Prozessexperten zu planen, aufzusetzen und zu betreiben. Damit wird sichergestellt, dass die anwenderfreundliche Nutzbarkeit bei der Entwicklung des Digital Twin berücksichtigt wird.
Der Digital Twin generiert aus vielfachen Gründen einen Mehrwert für Unternehmen: Er macht Produktionen effizienter, Unternehmen flexibler und kann zu spannenden Innovationen führen und gleichzeitig Fehlentscheidungen verringern sowie Kosten einsparen. Wichtig ist, dass der Digitale Zwilling zur Chefsache erklärt wird und Technologie und Strategie damit die benötigte Aufmerksamkeit erhalten.
Für den Auf- oder Ausbau eigener Digital-Twin-Projekte sollten Entscheider darüber hinaus professionelle IT-Dienstleister, Software-Systemhäuser und/oder Cloud Provider zu Rate ziehen, die über die entsprechende Lösungskompetenz und Projekterfahrung verfügen. Anstatt mühsam und langwierig die benötigten Fähigkeiten im eigenen Unternehmen aufzubauen, empfiehlt es sich, auf spezialisierte Anbieter zu setzen, die hinsichtlich Technologie- und Markttrends up-to-date sind und auf individuelle Unternehmensbedürfnisse eingehen können.
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