Beginnen wir mit einem Beispiel – ein Tag im Servicezentrum eines globalen Herstellers. Der Außendiensttechniker erhält früh morgens eine Benachrichtigung auf seinem Tablet: „Hydraulikventil C im Pitch-System an Anlage E03_16 zeigt abweichende Druckwerte. Voraussichtlicher Ausfall in drei Tagen. Ersatzteil befindet sich bereits vor Ort. Wartung jetzt empfohlen.“ Der Techniker klickt auf die Empfehlung und erhält umgehend eine visuelle Schritt-für-Schritt-Anleitung, inklusive aufschlussreicher Informationen aus archivierten Tickets und vorherigen Serviceeinsätzen. Er kann den Einsatz zügig erledigen und schließen. Seine zehnte First Time Closure in dieser Woche, Rekord. Dieser reibungslose Vorgang wurde nicht von einem gut eingespielten Team im Hintergrund vorbereitet, sondern von einem KI-System, der sogenannten agentischen KI, die autonom handeln und entscheiden kann.
Agentic AI gilt als nächste Evolutionsstufe künstlicher Intelligenz, die gefühlt erst gestern mit den großen LLM-Chatbots Einzug in die Unternehmen und unseren Alltag gehalten hat. Im Gegensatz zu KI-Anwendungen wie Robotic Process Automation (RPA) und KI-Chatbots, die nur strikt ausführen, was man ihnen vorgibt, verhalten sich agentische KI-Systeme wie erfahrene Problemlöser: Sie analysieren eine Situation, planen eigenständig eine Reihe von Schritten und setzen diese um – und lernen dabei kontinuierlich aus den Ergebnissen.
Mit anderen Worten: Es ist, als würde man von einem starren Entscheidungsbaum zu einem virtuellen Spezialisten-Team wechseln, das mitdenkt, vorausschauend handelt und sich flexibel anpasst. Zu schön, um wahr zu sein?
Was in der Theorie nach einem großen Sprung klingt, steht in der Praxis vor einigen Herausforderungen. Unternehmen müssen eine adäquate Datenlage und geeignete IT-Strukturen schaffen, die Anwendungen in bestehende Prozesse einbinden, Kontrollmechanismen wie Human-in-the-Loop etablieren, und nicht zuletzt die passenden Technologien und Lösungen auswählen.
Während Anbieter und Tech-Medien von einem Paradigmenwechsel sprechen, warnt das Analystenhaus Gartner auch vor übertriebenen Erwartungen: Viele Projekte seien zu früh gestartet, zu unklar definiert oder basierten auf veralteten Technologien. Gleichzeitig gibt es aus der Praxis bereits konkrete Anwendungsbeispiele, bei denen Agentic AI heute schon greifbaren Mehrwert schafft – etwa in Produktion oder Logistik.
Ein differenzierter Blick zeigt: Agentic AI ist keine Wundermaschine, besitzt aber durchaus das Potenzial zur Schlüsseltechnologie – wenn die Voraussetzungen und die Erwartungshaltung stimmen.
Auf unternehmerischer Ebene kann die Technologie vielseitig eingesetzt werden: Agentensysteme übernehmen konkrete Aufgaben entlang der gesamten Wertschöpfungskette – etwa in der Produktion, Instandhaltung oder im technischen Service. Sie arbeiten kontextsensitiv, interagieren mit Maschinen, Systemen oder Menschen und tragen so dazu bei, Prozesse zu automatisieren, Reaktionszeiten zu verkürzen und die betriebliche Effizienz messbar zu steigern. Laut einer Prognose von Gartner werden bis 2029 rund 80 Prozent aller Kundenserviceanfragen ohne menschliches Eingreifen bearbeitet – durch KI-Agenten, die eigenständig analysieren, entscheiden und reagieren.
Einige Unternehmen setzen diesen Paradigmenwechsel bereits heute um. Microsoft etwa nutzt agentenbasierte Systeme in der Cloud Incident Response, um Störungen im IT-Betrieb frühzeitig zu erkennen, automatisch Gegenmaßnahmen einzuleiten und menschliche Experten nur bei komplexen Ausnahmen zu involvieren. Das Ergebnis: schnellere Reaktionszeiten, niedrigere Betriebskosten.
Im industriellen Umfeld ist das Potenzial dieser Technologie besonders hoch. Unternehmen wie Amazon oder Bosch integrieren Agentic AI gezielt in ihre Produktions-, Logistik- und Serviceprozesse, um operative Herausforderungen wie steigende Komplexität, Fachkräftemangel oder unvorhersehbare Ausfallzeiten effizient zu adressieren.
In diesen Bereichen wird Agentic AI bereits angewendet:
In modernen Fabriken analysieren Agenten kontinuierlich Maschinendaten, erkennen frühzeitig Abweichungen und lösen automatisch vorausschauende Wartungsmaßnahmen aus. So werden Stillstände minimiert, Wartungsintervalle optimiert und die Mensch-Maschine-Kollaboration gestärkt. Beispiel: produzierende Unternehmen nutzen Agentic AI, um präventive Wartung zu automatisieren. Sensorik erkennt schleichende Defekte, der Agent plant den Einsatz des Instandhaltungsteams inklusive der Ersatzteilbereitstellung – ohne einen einzigen Anruf.
Geschwindigkeit wird in Logistikzentren zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Agentische KI unterstützt dabei, indem sie in Echtzeit Daten aus Beständen, Routen und Kundenaufträgen auswertet und sofort auf Veränderungen reagiert. So können Lieferketten dynamisch angepasst, Engpässe vermieden und Transportwege effizienter geplant werden.
Amazon demonstriert in seinen Fulfillment-Zentren, wie KI-Agenten eigenständig Bestände verwalten, Lieferketten anpassen und Transportwege optimieren. Roboter wie Proteus oder Vulcan treffen eigene Entscheidungen, um Prozesse effizienter zu gestalten.
Ein großer Hersteller und Betreiber von Anlagen möchte mit Agentic AI den technischen Außendienst transformieren mit dem Ziel, komplexe Störungen durch geführte Fehlerdiagnose schneller zu lösen – idealerweise mit nur einem Einsatz. Das System ermöglicht den Zugriff auf strukturierte Anleitungen, historische Einsatzdaten und dokumentiert den Einsatz des Servicetechnikers selbständig.
Damit Agentic AI ihr Potenzial entfalten kann, braucht es jedoch mehr als leistungsfähige Modelle. Die Systeme sind auf hochwertige, vernetzte und kontextreiche Daten angewiesen. Dazu zählen strukturierte Daten aus ERP-, CMMS- oder MES-Systemen ebenso wie unstrukturierte Inhalte aus Dokumentationen, Servicelogs oder Sensordaten.
Unternehmen, die Agentic AI im Sinne einer Data-Driven Factory nachhaltig nutzen wollen, müssen häufig zuerst in ihre Datenstrategie investieren, sei es über zentrale Plattformen wie Databricks oder durch den Aufbau domänenspezifischer Knowledge Bases.
Neben den technischen Voraussetzungen erfordert Agentic AI auch ein Umdenken auf organisatorischer Ebene. Entscheidungen, die bislang von Menschen getroffen wurden, werden an ein selbst handelndes System delegiert, das die Mitarbeiter nicht kennen. Rollen ändern sich, Prozesse verschieben sich. Ohne aktives Change Management drohen Widerstände – insbesondere dann, wenn Mitarbeitende die Entscheidungskompetenz von Systemen infrage stellen.
Das Vertrauen in die Technologie muss erarbeitet werden. Transparente Kommunikation, frühzeitige Einbindung und kontinuierliches Feedback sind zentrale Erfolgsfaktoren. Auch Konzepte wie „Human-in-the-Loop“ stärken nicht nur die Prozesse sondern schaffen auch Transparenz und Vertrauenswürdigkeit: Menschen behalten dabei die Aufsicht, während Agenten Routineaufgaben übernehmen oder Vorschläge unterbreiten. Gerade bei sicherheitskritischen Anwendungen ist dieses Zusammenspiel essenziell.
Die Beobachtungen aus Industrie und IT zeigen: Agentic AI – insbesondere in Form von Multiagentensystemen – besitzt erhebliches Potenzial, um operative Prozesse robuster, effizienter und skalierbarer zu gestalten. Im Unterschied zu bisherigen KI-Anwendungen zeichnen sich agentenbasierte Systeme dadurch aus, dass sie konkret auf Geschäftsprozesse zugeschnitten werden, mit vorhandenen Datenquellen interagieren und dabei autonom und proaktiv handelnd klar messbare Ziele verfolgen. Hervorzuheben ist dabei, dass es sich um komplexe Systeme handelt, die oft businesskritisch sind. Wer hier am Anfang steht, sollte nicht auf out-of-the-box Anwendungen setzen, sondern gezielte Agentic AI Lösungen mit der Unterstützung von Experten entwickeln.
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